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Beitrag vom 14.12.2002
Eine wahre und ungewöhnliche Liebe zwischen zwei Verfolgten
Anja Kesting
"Wer ihn erhält und mir antwortet, der soll mein letzter Liebhaber werden". Diesen Brief schrieb die Opernsängerin Marianne Golz in ihrer Todeszelle, wohlwissend, dass man sich nie sehen würde
Ihr antwortete der tschechische Todeskandidat Rischa, ein junger Mann von 27 Jahren, der einen kommunistischen Freund versteckt hatte, verraten wurde und ebenfalls auf seine Hinrichtung wartete.
Das Zwei-Personen-Bühnenstück "Der große Tag: eine Liebe in Briefen" erzählt von der ungewöhnlichen Liebe zwischen den beiden Verfolgten, die sich 1943 im Prager Gefängnis Pankraz entwickelte.
Premiere ist am 15. Januar 2003 im Theaterforum Kreuzberg.
Eve Slatner, Autorin und Schauspielerin, verarbeitete die Briefe zum Dialog-Bühnenstück. Dabei konnte sie zum einen auf die erhaltenen Zeilen zurückgreifen und zum anderen rekonstruierte sie aus Kenntnis der zeitgeschichtlichen und psychologischen Umstände die fehlenden Liebesbotschaften.
Zum Inhalt: Marianne Golz, eine deutsch-österreichische Operettensängerin, die mit ihrem tschechisch-jüdischen Mann 1933 aus Berlin nach Prag geflohen war, verhalf 1938 nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei zahlreichen Juden und politisch Verfolgten zur Flucht. Da sie selbst nicht jüdisch war, fühlte sie sich sicher und meinte, ihr könne nichts passieren. Ihren Mann, einen in den dreißiger Jahren in literarischen Kreisen Berlins verkehrenden bekannten Journalisten, überredete sie sehr schnell, nach London ins Exil zu gehen. Marianne aber blieb, um weiter anderen Menschen helfen zu können. Ihre Arbeit wurde verraten. Ein deutsches Gericht verurteilte sie zum Tode.
Mit zahlreichen anderen Frauen mit ähnlichem Schicksal wartete sie im Gefängnis auf ihre Hinrichtung. Die von großer Vitalität und Lebensenergie geprägte 48jährige Frau wollte sich nicht von den äußeren Umständen zerstören lassen, ihrem Tod mit Würde begegnen. Deshalb schickte sie einen Kassiber in den Männertrakt von Pankraz: "Wer ihn erhält und mir antwortet, der soll mein letzter Liebhaber werden".
Daraus entwickelte sich eine Briefliebe zu Rischa, die nur vier Monate dauerte. Marianne trifft auf einen Menschen von gleicher psychischer Wellenlänge, von ähnlicher seelischer Stimmung. Nur ist er pessimistischer, verzweifelter, deprimierter. Sie ermutigt ihn, gibt ihm neuen Lebensmut, auch wenn beide ahnen, dass es sich nur um eine kurze Zeit handeln wird, die ihnen bleibt.
Im Theaterstück "Der Große Tag: eine Liebe in Briefen" geht es auch darum zu zeigen, dass frau auch in finsteren Zeiten, in schlimmen, ja scheinbar aussichtslosen Situationen ihre Integrität bewahren, sogar glücklich sein kann.
Das ist Marianne Golz, die damit auch ihren Liebhaber Rischa angesteckt hat, vorbildlich gelungen.
Der Große Tag: eine Liebe in Briefen
Eve Slatner und Stephan Wolf-Schönburg
Inszenierung Claudia Göbel
Musik Hermann Beesten Jr
Theaterforum Kreuzberg
Eisenbahnstr. 21
10997 Berlin
Vorstellungen:17. bis 19. Januar 2003, 20.00 Uhr
(030)611 089 33
Karten: 10 Euro / 8 Euro
U-Bhf Görlitzer Bhf. und Schlesisches Tor (U 1, U 12, U 15).